Das Interview

© Max GindtDas Interview ist ein Kammerspiel um Wahrheit und Lüge, um echtes Gefühl und seine Vortäuschung. Pierre, ein bekannter Polit-Journalist und ehemaliger Kriegsberichterstatter, ist gezwungen Katja, einen weiblichen Soap-Star, zu interviewen. Das Kabinett droht zurückzutreten, und er wird von der Chefredaktion seiner Zeitung zu einem Fernsehsternchen geschickt, um ein Interview zu machen. Widerwillig und unvorbereitet trifft er auf eine Frau, die so gar nicht seinem Vorurteil einer drittklassigen Schauspielerin mit falschen Brüsten entspricht.

Da der zynisch gealterte Kriegsberichterstatter und das erfolgreiche Glamoursternchen einander nur widerwillig und hochnäsig begegnen, wird das Gespräch zum Duell, in dem die Masken ebenso schnell fallen oder abgerissen wie neue wieder aufgesetzt werden. Sie sprechen über Verletzungen, Verletzbarkeiten und sie verletzen einander. Geständnis und Show, Aggression und Verletzlichkeit, Begehren und Verachtung wechseln rasant in diesem Zweikampf der Gefühle. Die Begegnung artet in einen zerstörerischen Kampf zwischen zwei Menschen aus, die verletzlicher, aber auch berechnender sind, als sie vorgeben. Denn niemand will verlieren. Je näher sie sich kommen, desto mehr (miss-)brauchen sie sich gegenseitig, um die privaten Geschichten des Anderen öffentlich zu verwerten – die Gesetze der Mediengesellschaft setzen dem keine Grenzen.

Der niederländische Filmemacher und Publizist Theo van Gogh 1957 bis 2004 hat selbst über acht Jahre in einer eigenen TV-Sendung Interviews geführt und mit seinen Filmen und Auftritten häufig provoziert. 2004 wurde er von einem religiösen Fanatiker ermordet

Mehr Schein als Sein

Pol Cruchten lässt in seiner Inszenierung « Das Interview » im Kasenmattentheater zwei Menschen einen Machtkampf um Wahrheit und Lüge im Medienzeitalter ausfechten. Ist ein Interview nicht erst dann richtig spannend, wenn die Beteiligten auf Augenhöhe miteinander diskutieren? « Ein gutes Interview ist seinem Wesen nach ein Gefecht » erklärt Pierre in Pol Cruchtens Zwei-Personen-Stück. Es ist nichts anderes als ein Kräftemessen. Er, ein nach Anerkennung gierender Polit-Journalist mittleren Alters. Sie, ein gefragtes TV-Sternchen. Er hofft, dass ihn sein Beruf zu einem besseren Menschen macht. Ihr ist es wichtig, schön zu sein. Soweit die Fassade. Dahinter verbergen sich zwei vom Leben gezeichnete Menschen, die gelernt haben, sich in der Medienwelt souverän zu behaupten, und die im stillen Kämmerlein ihre Wunden lecken.

Von dem Interview mit der TV-Berühmtheit Katja (Fabienne Elaine Hollwege) erwartet der ehemalige Kriegsberichterstatter Pierre (Steve Karier) nicht viel mehr, als « zwei Gummititten, die keinen geraden Satz herausbekommen ». Er fühlt sich zu Wichtigerem berufen, als eine neurotische Schauspielerin zu interviewen, denn die Regierung ist gerade dabei zu scheitern und droht mit Rücktritt. So treffen zwei Menschen aufeinander, die voll von Vorurteilen und Widerwillen sind, großkotzig auftreten und durch Erniedrigung des Gegenübers sich selbst aufzuwerten versuchen. Es entsteht ein Machtspiel auf allen Ebenen, in dem die beiden ihre Trümpfe ausspielen und zugleich ihre Verletzlichkeit zeigen. Nur darauf aus, Interesse zu erwecken und verstanden zu werden, heucheln beide Empathie. Kokett spielt Katja mit Pierre und setzt ihre weiblichen Reize ein, um ihn um den Finger zu wickeln. Und er fällt darauf herein und sieht in seiner Selbstüberschätzung bis zuletzt nicht, dass sie ihn nur benutzt und ihm eine Geschichte vorspielt. « Hör doch einfach auf mit dieser Scheiß-Schauspielerei! » fleht sie Pierre irgendwann verzweifelt an und klammert sich an jedes intime Detail, das sie preisgibt. Von seiner Gier nach Neuigkeiten getrieben, scheut er nicht einmal davor zurück, Katjas Tagebuch zu lesen. So werden peu à peu Tabus gebrochen, bröckelt die Fassade, bis am Ende zwei Menschen einander entblößt gegenüberstehen. « Warum quälst du mich? » fragt Katja, « Weil du mich quälst! », ist die Antwort. Der Machtkampf zwischen den Geschlechtern ist Spiegelbild einer Medienwelt des Scheins, in der derjenige gewinnt, der die Regeln am besten beherrscht.

Theo van Gogh (1957-2004) beherrschte sie. Der niederländische Filmemacher und Publizist galt als enfant terrible der Medienszene. Mit « Das Interview », seinem vorletzten Film, wollte er der neuen Medienwelt den Spiegel vorhalten und ihre Demoralisierung zeigen. Acht Jahre lang führte von Gogh selbst Interviews in seiner eigenen TV-Sendung und setzte dabei ganz auf Provokation. Seine geschmacklosen Witze brachten ihm 1984 eine Klage wegen Antisemitismus ein. Kompromisslos kritisierte van Gogh gleichermaßen jüdische, islamische und christliche Werte und Symbole, bis er nach seinem Film « Submission » (2004) über die Situation islamischer Frauen von einem religiösen Fanatiker ermordet wurde.

Cruchten nimmt van Goghs Credo beim Wort. In seiner schnörkellosen Bühnenadaptation von « Das Interview » liefern sich zwei Menschen im Rampenlicht ein bissiges Wortgefecht, das Dank zweier überzeugender, sich auf Augenhöhe begegnender Darsteller nie langweilig wird. Virtuos spielen Fabienne Elaine Hollwege und Steve Karier sich die Bälle zu und tragen das Stück. So ist es sicher kein Zufall, dass sich mit Pol Cruchten ein Luxemburger Regisseur an das Stück gewagt hat, der ? ähnlich wie Theo von Gogh ? aus der Filmbranche kommt und sie wie seine Hosentasche kennt. Seiner Inszenierung fehlt es nicht an Biss. Von vorne bis hinten mitreißend, lässt einen das Kammerspiel kurz innehalten und über Schein und Sein nachdenken.

Source: Anina Valle Thiele – www.woxx.lu

Nach dem Film von Theo van Gogh und dem Drehbuch von Theodor Holman, übersetzt und für die Bühne adaptiert von Stephan Lack

Mit: Fabienne Elaine Hollwege und Steve Karier
Regie: Pol Cruchten
Regieassistenz: Jacques Schiltz
Bühne und Kostüme: Anouk Schiltz
Dramaturgie: Marc Limpach

Eine Koproduktion des Kasemattentheaters mit den Théâtres de la Ville Luxembourg

Premiere am 9. April 2013 um 20.00 Uhr im Kasemattentheater.
Weitere Vorstellungen am 11. 12. 16. 18. und 23. April

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